Etwas Schönes zum Nachdenken

Ich freue mich immer wieder über Post aus dem Pfarrhaus in Buchholz bei Pritzwalk in der Prignitz, das im Norden Berlin/Brandenburg zu suchen ist..Es geht um den Gemeindebrief und da las ich folgendes von Christina Brudereck aus Essen.

Es gibt ja so viel zu sehen:
Das zartweiße Unkraut an der Mauer im Hof,
die weiten Flügel des Falken hoch über dem Feld,
das Schmunzeln auf dem Gesicht einer Freundin,
das frischgebackene Brot auf dem Küchentisch.
Und doch. Das, was wirklich bedeutend ist, bleibt unsichtbar.
Ich wünschte, ich könnte die Liebe malen,
oder das Glück fotografieren,
die Hoffnung festhalten in Farben,
die Gütekraft ins Bild setzen.
Ich wünschte, ich könnte ein Mal Gott sehen, diese große segnende Kraft.
Aber die Augen der Menschen taugen nicht dazu.
Geheimnisse sind nicht zu beweisen, sonst wären sie keine.
So sehe ich mit den Ohren,
höre mit tastenden Fingern,
schmecke mit der dünnen Haut,
denke mit ungeschminkten Lippen.
Und je mehr ich einsehe,
dass ich blind bin für das, was wirklich beseelend ist,
desto sehnsüchtiger werde ich.
Meine Sehnsucht macht mich menschlich, lässt mich flüstern
und dann schließlich rufe ich:
Gott, zeig mir deine Zuneigung!
Lass mich dein Erbarmen erfahren.
Hilf mir sehen.
Es gibt doch so viel zu sehen.
Die Augen geöffnet, staune ich.
Ich sehe das Leben, seinen Durst, seine Farben, seine Bewegungen, seine Worte.
Immer, wenn die Augen mir aufgeschlossen werden für das Leben, ist es ein Wunder.
Das sehe ich jetzt.
Jedes Mal.
Und dann sehe ich mehr:
Im Falken am Himmel breitest Du Deine Flügel aus über mir.
Das zartweiße Unkraut an der Mauer im Hof erfüllt mich mit Widerstandskraft.
Im Schmunzeln auf dem Gesicht einer Freundin ahne ich Dein strahlendes Gesicht.
Das frischgebackene Brot auf dem Küchentisch macht mich mehr als satt.
Unbegreiflich und doch wahr.
Es gibt ja so viel zu sehen.
Am Meisten fasziniert mich das Unsichtbare.

Christina Brudereck, Theologin, Autorin, Lyrikerin und Evangelistin aus Essen