Mittwoch, 22. September 2010

Mut zur Tat


Johann Hinrich Wichern und die Innere Mission.
Wie schon berichtet, besuchten wir vergangenen Samstag das Rauhe Haus in Hamburg. Durch diesen Besuch wurde ich an meine Kindheit erinnert. In den Schulferien durfte ich ab und zu nach Heidelberg, wo meine Tante Lieselotte mit Onkel Emil das Wichernheim in Heidelberg zig Jahre leiteten und mit diesen obdachlosen Männern lebten. War das eine Arbeit, alleine schon für so viele Menschen Tag für Tag das Mittagessen zuzubereiten!
Hier ein Link zum Wichernheim nach Heidelberg.
Wichernheim Heidelberg
Wichernheim in Heidelberg
Durch diesen Besuch in Hamburg erinnerte ich mich auch an meine Cousine Margret. Wir hatten uns über die Jahre aus den Augen verloren doch heute wurde ich fündig und bin auf ihre Antwort gespannt.

Von Theodor Heuß, Bundespräsident
bei seinem Besuch im Rauhen Haus am 24. Juni 1951:
Wichern hatte keine Zeit, 
ein großer Theologe zu werden,
weil es ihn eilte,
ein guter Christ zu sein.

Johann Hinrich Wichern (1808-1881)
Er war Gründer und erster Vorsteher des Rauhen Hauses in Hamburg und Initiator der Inneren Mission in Deutschland und damit alles dessen, was man heute die "Diakonie" nennt. Wichern, damals erst 25 Jahre alt, begann 1833 im Rauhen Haus mit der Betreuung von verwaisten und verwahrlosten Kindern und Jugendlichen aus den Hamburger Elendsvierteln, besonders aus der Vorstadt St. Georg.
Wichern war - obwohl von der Ausbildung her Theologe - auch ein begnadeter Pädagoge. Schon bald stellte er sich die Frage, wie den Kindern anschaulich zu machen wäre, dass die Zeit demmmer dunkler und kälter werdenden Dezembers gleichzeitig eine Zeit des Weges ins Licht ist?
Und so ließ Wichern am ersten Advent 1839 im erst drei Jahre zuvor eingeweihten Betsaal des Rauhen Hauses erstmals einen hölzernen Leuchter mit 23 Kerzen anbringen - vier dicke weiße für die Sonntage, 19 kleine rote für die Werktate im Advent, denn 1839 fiel der Heilige Abend auf einen Dienstag.

Wann und wie sich der Rauhhäusler Adventskranz in Deutschland verbreitet hat, ist schwer nachzuzeichnen. Durchaus möglich, dass etwa kurze Zeit später auch anderswo Adventskränze aufgehängt wurden




Wenn wir heute das Leben und Wirken Johann Hinrich Wicherns überblicken, so sind wir beeindruckt von dieser fast übermenschlichen Schaffenskraft. Er war konservativ in seinem Verständnis von Staat und Gesellschaft, monarchisch gesinnt, und ohne Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ständischen Gliederung des Staatswesens. Zur Interessenvielfalt und Parteienbildung einer beginnenden Demokratie hatte er keinen Zugang. Er empfand sie vielmehr als einen Angriff auf die staatliche und sittliche Weltordnung. Fortschrittlich und den konservativen Kräften seiner Zeit weit voraus war er in der Feststellung der sozialen Verantwortung des Eigentums, die er unermüdlich einforderte.
solche Bänke gab es in unserer Kindheit in der Schule
"Die aber Geld verdienen, mögen zusehen, dass nicht der Geiz sie regiere, sondern lernen, über sich zu wachen, dass sie Geld und Gut als Darlehen betrachten lernen, das nicht ihnen, sondern ihrem Herrn und Gotte und seinem Reich gehört."
Wichern wurde nicht müde, seine Kirche in ihre soziale Verantwortung zu rufen, weil der Dienst am Nächsten zu ihren Wesensmerkmalen gehörte.
Was ihn aber besonders auszeichnete, war, dass er sich jederzeit von der Not der Menschen anrühren ließ und aus christlicher Verantwortung Schritte zu deren Linderung unternahm. Die jeweilige Not, die ihm begegnete und zu deren Abhilfe er sich herausgefordert sah, wurde für Wichern immer wieder zum Ausgangspunkt neuen Handelns; denn "nur der kann sich der Not in ihrer ganzen Breite entgegenstellen, der den Mut hat zur ersten kleinen Tat." 
Er setzte sich für die Versorgung und Begleitung der Auswanderer ein (Amerika-Auswanderung).
Er unterstützte die Fürsorge für die wandernden Handwerksgesellen durch die Gründung der Herbergen zur Heimat (christliche Unterkunft, Bewahrung vor Bettelei und Diebstahl),
Er engagierte sich bei der Schaffung einer Betreuung für die beim Eisenbahnbau beschäftigten Arbeiter, die weit entfernt von ihren Familien in Lagern lebten, wo Trunksucht und Prostitution an der Tagesordnung waren.
Wichern war zweifellos eine der herausragenden Persönlichkeiten der Sozial- und der Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts.
Er lebte die Freiheit eines Christenmenschen, eine Freiheit, die es sich erlaubte, zu reden, wo viele schwiegen, die ihre Stimme erhob für die, die im Gerede und im Gewinnstreben der Mitmenschen nicht mehr zu Wort kamen oder deren Notschrei nicht mehr durchdrang. Es war die Freiheit, in einer Zeit von einander ablösenden sozialpolitischen Reformen einfach stehen zubleiben, weil da ein Blinder am Weg, ein Alter einsam, ein Kind ohne Entwicklungschance, ein Jugendlicher ohne Lebensperspektive oder ein Gefangener seiner Menschenwürde beraubt war.

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