Sonntag, 4. Juli 2010

Lebensmotto Gummizeit

In vielen afrikanischen Ländern ticken die Uhren anders: Weil es das ganze Jahr über zwölf Stunden am Tag hell ist, macht eine Zeitverschiebung keinen Sinn.
Wenn die Uhren in Europa und Nordamerika,  um eine Stunde zurückgestellt werden, bleibt in Nairobi, Lagos, Kinshasa und Uganda alles beim Alten. Denn in den Ländern am Äquator, wo es das ganze Jahr hindurch etwa zwölf Stunden lang hell ist und sich die Zeit des Sonnenaufgangs im Jahresverlauf nur um rund eine halbe Stunde verschiebt, hätte eine Zeitverschiebung nur wenig Sinn. Vor allem in den afrikanischen Dörfern, in denen nur wenige Menschen elektrischen Strom haben und abends höchstens eine Kerosinlampe als Lichtquelle dient, bestimmen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang den Lebens- und Arbeitsrhythmus.

Flexibles Zeitgefühl
Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die Afrikaner auf eine Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst verzichten. Bei ihnen ticken die Uhren ohnehin anders: In Afrika gilt „African time“. „Europäer haben Uhren, Afrikaner haben Zeit“, besagt ein Sprichwort, und in der Tat ist das afrikanische Zeitgefühl noch ein bisschen flexibler als etwa in den Mittelmeerländern.

Pünktlichkeit grenzt an Unhöflichkeit
„Pole, pole“ (langsam, langsam) ist ein Lebensmotto, das nicht nur an der ostafrikanischen Küste gilt. Viele Afrikaner können nur den Kopf schütteln, wenn sie die ihrer Meinung nach ungesunde Hektik der „Muzungu“ (Europäer) sehen, deren Leben von Uhren und Terminplänen beherrscht wird. „Wenn ich Gäste für sieben Uhr abends einlade, rechne ich nicht damit, dass sie vor halb neun, neun auftauchen“, sagt Maggie Wanjiro, eine Angestellte aus Nairobi. „Kämen sie früher, wäre das Essen auch noch nicht fertig.“ Europäer und Nordamerikaner in Kenia und anderen afrikanischen Ländern sind daran gewöhnt, dass sie bei vielen Veranstaltungen erst einmal eine Stunde unter sich sind, bis auch die afrikanischen Gäste erscheinen.

Verkehrssystem schluckt Zeit
Zugegeben: Es ist nicht ganz einfach, in Afrika pünktlich zu sein. In Millionenstädten wie Nairobi oder Lagos, in denen vor allem morgens und spätnachmittags die Straßen völlig verstopft sind, lässt sich auch auf abenteuerlichen Umwegen über noch im Bau befindliche Pisten die im Stau verlorene Zeit nicht mehr aufholen. Bahnreisende erfahren manchmal fünf Minuten vor der Abfahrt, dass der Zug nicht abfahren kann wegen eines Unfalls oder eines auf die Gleise gestürzten Baumes irgendwo entlang der Strecke. Und auch die häufigen Stromausfälle vor allem in der Regenzeit machen das Einhalten von Terminen schwierig, egal ob es darum geht, mit frisch gewaschenen Haaren zur Dinner-Einladung zu erscheinen oder eine wichtige E-Mail rechtzeitig zu versenden

Verspätung unterstreicht die eigene Bedeutung
Besonders ausgeprägt ist die „Pole, pole“-Mentalität allerdings bei Würdenträgern jeder Art, die bei öffentlichen Auftritten gerne warten lassen, um ihre Bedeutung zu unterstreichen. Doch es gibt auch Ausnahmen wie Julius Savakaji. Der 58-jährige Kenianer, der seit vielen Jahren für ein deutsches Unternehmen arbeitet, setzt auf geradezu preußische Pünktlichkeit und erscheint lieber 20 Minuten zu früh als auch nur fünf Minuten zu spät. Viel gewinnt er dadurch nicht: Nur die Warterei dauert so noch etwas länger.

Artikel gefunden bei focus.de

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