Samstag, 3. Juli 2010

Ugandas Straßenkinder -


Sie betteln und wühlen im Müll, nachts schlafen sie hungrig auf nacktem Beton.

"Auf der Straße gibt es nur Leiden"

Von Klaus Huhold aus Uganda
Von Österreichern unterstützte NGO gibt Kindern in Uganda ein Zuhause.
Schulbesuch und medizinische Hilfe ebnen Rückkehr in ein normales Leben.

Kampala.Sie tauchen immer wieder auf Kampalas belebten Märkten oder Straßenkreuzungen auf. Kinder, oft nicht älter als zehn Jahre, mit zerfetzten T-Shirts und zerzaustem Haar. Schnell laufen sie auf Passanten zu, öffnen ihre Handflächen zum Betteln.
Ugandas Straßenkinder kämpfen in einem armen, afrikanischen Land jeden Tag ums Überleben: Sie wühlen im Müll, sie bitten vor Hotels um Essensreste. In der Nacht suchen sie vor verlassenen, großen Gebäuden einen Platz zum Schlafen und legen sich auf den nackten Beton.
Ronald ist mittlerweile bei einer NGO untergekommen, doch auch er lebte monatelang auf der Straße. "Wenn ich daran zurückdenke, könnte ich weinen, weil es so eine fürchterliche Situation war", sagt der 13-Jährige mit dem runden Gesicht und den aufgeweckten Augen. Der Einschnitt in Ronalds Leben war der Tod seiner Mutter. Sein Vater heiratete noch einmal, seine Stiefmutter misshandelte Ronald schwer. "Deshalb beschloss ich, auf der Straße zu leben."
"Dort schläfst du hungrig ein und wachst hungrig auf", erzählt er. "Du schaust die ganze Zeit, dass du an Essen rankommst." Ronald bettelte oder sammelte Müll, für den er bei Schrotthändlern ein paar Cents bekam. "Doch auch dieses Geld wird dir in der Nacht oft gestohlen."
Überhaupt fand Ronald in der Nacht keine Ruhe, er war gehetzt, hatte Angst vor Dieben und Wachleuten, die die Straßenkinder verfolgten. "Kaum hörte ich Schritte, lief ich davon."
Berichtet Ronald von seiner Vergangenheit, wirkt er zurückhaltend und nachdenklich – und sehr reif für einen 13-Jährigen. Er spricht nicht nur von seinen persönlichen Erlebnissen, sondern setzt sie auch ganz allgemein in Zusammenhang mit dem Leben am untersten Rand der Gesellschaft, sagt Sätze wie: "Auf der Straße lernst du nur aus deinen Erfahrungen" oder "Auf der Straße kämpft jeder nur um sein eigenes Überleben."
Die Ursache, warum Kinder in Uganda auf der Straße landen, sind vielfältig: Manche laufen wie Ronald vor Gewalt in der Familie davon. Andere Straßenkinder sind Waisen, deren Eltern an Aids gestorben sind. Einige Kinder sind wiederum auf der Straße geboren, ihre Eltern sind selbst obdachlos. Zudem kommen viele Straßenkinder aus dem Norden des Landes. Sie flohen vor den Rebellen der Lord’s Resistance Army (LRA), die für die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten berüchtigt ist. Wie viele Straßenkinder es in Uganda gibt, weiß keiner so genau, aber es werden wohl Tausende sein.
Bett, Essen und Medizin
Während Ronald erzählt, spielen gerade ein paar seiner Freunde in einem Hof Fußball. Gleichzeitig dröhnt aus einer Anlage Musik, einige kleinere Kinder toben herum. Ronald und all diese Kinder haben bei Save The Street Children Uganda (Sascu) ein neues Zuhause gefunden. Sie leben nun in einem Wohnheim, bekommen Essen, medizinische Versorgung und gehen zur Schule. In der Freizeit gibt es Tanzunterricht oder Sporttraining.
Aufgelesen hat die Kinder der Leiter des Heimes, Byaruhanga Innocent. Der 29-Jährige mit dem ruhigen Blick weiß, wo er Straßenkinder findet und wie er sie ansprechen muss. "Ich war selbst neun Jahre lang ein Straßenkind, bis ich von einer NGO gerettet wurde", berichtet er. Innocent wurde eine Schulbildung ermöglicht, danach arbeitete er bei einer Botschaft. "Doch mit den Gedanken war ich ständig bei den Straßenkindern. Denn auf der Straße gibt es nichts als Leiden", sagt der gläubige Christ. Schließlich begann Innocent, Kinder von der Straße bei sich aufzunehmen. Bis zu neun Kinder schliefen in einer Ein-Zimmer-Wohnung.
Eines Tages im Februar 2008 befand sich Innocent vor dem Speke Hotel im Zentrum Kampalas. Das Speke-Hotel liegt fernab von der Welt der Straßenkinder. Man spaziert hier unter gepflegten, weiß gestrichenen Rundbögen, durch gedämpftes Laternenlicht und klimatisierte Räume. Im Restaurant des Speke treffen sich Touristen, Geschäftsleute und Vertreter internationaler Organisationen. Innocent kam hierher auf der Suche nach Spenden.
Und er traf dabei auf die Österreicher Leo Stollwitzer und Ernst Steinicke. Stollwitzer, ein Politik-Analyst an der US-Botschaft in Wien, und Steinicke, ein Geographieprofessor an der Universität Innsbruck, waren eigentlich wegen eines wissenschaftlichen Projekts in Uganda. Sie wechselten mit Innocent nur ein paar Worte, ließen sich von ihm einige Informationen geben. Doch die Geschichte der Straßenkinder ging ihnen nicht aus dem Kopf. Und was als kurzer Kontakt mit Innocent begann, hat sich zur handfesten Zusammenarbeit ausgeweitet.
Denn Stollwitzer, seine Frau Gudrun Semmelrock, Steinicke und einige ihrer Verwandten und Freunde bilden mittlerweile den Vorstand von Sascu International. Unermüdlich bemühen sie sich, Spendengelder aufzutreiben, ihre Bekannten von dem Projekt zu überzeugen. "Es geht nicht darum, ganz Afrika zu retten, sondern ein paar Kindern das Überleben und den Schulbesuch zu sichern", sagt Stollwitzer.
Das Projekt ist in den vergangenen zwei Jahren gewachsen. In einem östlichen Vorort von Kampala wurde ein Haus angemietet, aus neun betreuten Kindern wurden fast 40. Neben Innocent gibt es nun einen weiteren Sozialhelfer, eine Köchin, eine Reinigungskraft und einen Wachmann. Doch immer wieder muss improvisiert, Geld aufgetrieben werden: Plötzlich sind gleich sieben Kinder an Malaria erkrankt und benötigen eine Behandlung. Und auch die verschiedenen Schulen müssen jedes Semester bezahlt werden.
Fußballer oder Anwalt
Die Ausgaben vor Ort verwaltet Marinka Sanc-George. Die Australierin mit ungarischen Wurzeln lebt seit fast 20 Jahren in Uganda und leitet eines der größten Reisebüros. In ihrer Freizeit übernimmt die resolute Geschäftsfrau das Monitoring des Projekts und treibt selbst Spenden auf. Oder sie fährt Schulen ab, um Preisnachlässe auszuhandeln. Erst kürzlich ist es ihr gelungen, in einer angesehenen Schule 17 Kinder unterzubringen, die nun gar die Aussicht haben, die Matura zu machen.
Damit könnten sich für den 15-jährigen Nicholas und die 14-jährige Bena ihr Traum erfüllen: Sie wollen beide Anwälte werden – Nicholas hält sich aber auch noch die Option Fußballprofi offen.
Bena berichtet, dass es ihr am Anfang schwer fiel, im Zentrum zu bleiben. Das aufgeweckte Mädchen mit der Stoppelglatze fühlte sich eingesperrt, war den geregelten Tagesablauf nicht gewohnt. Doch nun würde sie diesen Ort lieben, sagt sie, "weil sich Innocent so um uns kümmert."
Auch Nicholas betont, dass er sich bei Sascu wohlfühlt. "Hier werden wir endlich wie Kinder und Jugendliche behandelt. Wir haben ein Dach über dem Kopf und können zur Schule gehen." An seine Zeit auf der Straße, als er aus Mülltonnen Essen fischte, möchte er am liebsten nicht mehr denken, sagt der sportliche Bursche mit dem gestreiften T-Shirt. Ronald hingegen will seine Vergangenheit nicht vergessen. Sein Traum für die Zukunft? "Ich möchte anderen Straßenkindern helfen."
Printausgabe vom Freitag, 05. März 2010
Online seit: Donnerstag, 04. März 2010 17:48:28

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